Quelle: Link zum Originalartikel auf >> www.orf.at
Durch Roboter und Digitalisierung gehen viele Arbeitsplätze verloren. Braucht es für die „Industrie 4.0“ auch eine „Bildung 4.0“? Wichtiger als „Tablets für alle“ ist es weiterhin, dass Kinder lesen, schreiben und rechnen können, meint die Volkswirtin Julia Bock-Schappelwein.
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Welche Fähigkeiten sind künftig am Arbeitsmarkt gefragt und welche Jobs werden Algorithmen oder Maschinen übernehmen? Wissenschaftlerinnen und Experten sind sich hier uneinig, die Bandbreite ist groß. Während etwa das Institut für Höhere Studien in einer Studie davon ausgeht, dass durch die Digitalisierung neun Prozent der Jobs gefährdet sind, ist es laut Forschern der Oxford Universität sogar die Hälfte.
„Wir wissen schlichtweg nicht, wo es hingehen wird“, davon ist Julia Bock-Schappelwein vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) in Wien überzeugt. Unter dem Schlagwort Bildung 4.0 versucht die Volkswirtin die Frage zu beantworten, wie man Kinder und Jugendliche ideal auf einen sich digitalisierenden und automatisierenden Arbeitsmarkt vorbereitet.
„Hier gibt es die Analogie einer Wanderung, für die ich einen Rucksack packen muss. Ich weiß nicht, welches Wetter oder welche Hürden mich erwarten. Ich sollte aber so ausgerüstet sein, dass ich mit allem zurechtkomme“, sagt Bock-Schappelwein.
Basics als Basis für digitale Kompetenz
IT-Experten und Politikerinnen fordern regelmäßig Reformen im Schulbereich: etwa mehr Medienkompetenz, mehr Informatik-Unterricht sowie WLAN, Tablets und Laptops für alle Schüler.
Letzteres findet auch Bock-Schappelwein sinnvoll. Noch wichtiger sei es aber, dass Kinder und Jugendliche in den Grundkompetenzen – sprich Lesen, Schreiben und Rechnen – sattelfest sind, sagt die Forscherin und verweist wieder auf ihre Analogie mit dem Rucksack. „Ich kann digitale Kompetenzen oder meine Medienkompetenz nicht ausüben, wenn ich nicht sinnerfassend lesen kann. Zudem geht es darum, damit Problemlösungskompetenz zu entwickeln, klar kommunizieren zu können, Dinge in unterschiedliche Kontexte zu stellen und soziale Kompetenzen herauszubilden“, so Bock-Schappelwein.
„Müssen uns von Maschine unterscheiden“
Auch heute sind diese Fähigkeiten am Arbeitsmarkt von Vorteil. In Zukunft werden sie aber noch bedeutender, ist die Volkswirtin überzeugt. „Es geht darum, jene Fähigkeiten herauszubilden, die uns von der Maschine unterscheiden“, sagt Bock-Schappelwein und verweist auf bisherige Entwicklungen am österreichischen Arbeitsmarkt: „Unsere Analyse aus den letzten 20 Jahren zeigt, dass es bei Routinetätigkeiten massive Beschäftigungsverluste gab – diese werden nun von Maschinen erledigt. Hochqualifizierte Tätigkeiten hingegen sind dazugekommen.“
Konkret braucht es dort, wo Maschinen heute Menschen ersetzen, Fachkräfte, die das maschinelle oder digitalisierte Produktionssystem überwachen und verstehen. Darüber hinaus sind Spezialisten gefragt, die einen solchen Prozess steuern und Fehler beheben können. „Auf beiden Ebenen benötige ich die Fähigkeit, Information sinnerfassend zu verarbeiten, zu filtern und eine klare Botschaft an einen Kollegen oder eine Vorgesetzte zu kommunizieren.“
Viele Kinder haben Probleme mit Grundlagen
Aktuelle Erhebungen in Österreichs Schulen zeigen jedoch, dass es Probleme an der Basis gibt. Bei den zehnjährigen Mädchen erreichen in der Mathematik ein Viertel nicht die definierten Bildungsstandards. Bei den Buben ist es ein Fünftel.
Noch problematischer ist es beim Leseverständnis: Hier bleibt ein Drittel der Mädchen hinter den Mindestanforderungen zurück, bei den Buben sind es sogar 44 Prozent. „Die Kinder und Jugendlichen haben damit nicht die gleichen Ausgangspositionen. Gerade in einem Arbeitsumfeld, wo es wichtig ist, spezifische Kompetenzen herauszubilden, sind solche Grunddefizite ein klarer Nachteil.“
Zwar ist Bock-Schappelwein keine Pädagogin, dennoch plädiert sie dafür, dass Lesen, Schreiben und Rechnen vor allem in den ersten Schuljahren stärker fokussiert und zudem vermehrt auf die Ausbildung sozialer Kompetenzen geachtet wird. „Hierfür braucht es natürlich die notwendigen finanziellen Mittel, um etwa zusätzlich Hilfestellung für Kinder anbieten zu können, die hier Schwierigkeiten haben.“
Auf andere Länder wie Südkorea, die Slowakei oder Schweden – hier sollen Kinder ab der Volksschule programmieren lernen – blickt die Volkswirtin nicht: „Es geht nicht so sehr um Vorbilder. Vielmehr müssen wir ganz konkret Rahmenbedingungen in Österreich schaffen, damit Kinder und Jugendliche ihren Weg gehen können.“
Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft
Link zum Originalartikel auf >> www.orf.at