Digitalisierung in der Schule

Bericht der Süddeutschen Zeitung:

Computer sind gut, Lehrer sind besser

Für Kinder gehört die Benutzung von Smartphones, Tablets und Computern mittlerweile zum Alltag. Warum sie dann nicht auch verstärkt in der Schule einsetzen, fragen manche. Viele Leserinnen und Leser halten das für keine gute Idee.

„Digitales Geräteturnen“ von Susanne Klein in der SZ vom 16./17. September:

Kaum Mehrwert

Es ist wohltuend, wenn die „Digitalisierung der Schule“ (was immer das heißen mag) in der Presse einmal nicht mit ungeteilter Zustimmung kommentiert wird. Im Normalfall wird eher fasziniert von jungen, dynamischen Lehrern berichtet, die nur mit einem Tablet-Computer ausgerüstet locker flockig in den Unterricht spazieren und damit angeblich die Schüler begeistern. Gerne wird dabei der Milchmädchenrechnung „modernes Medium + Unterricht = moderner Unterricht“ Glauben geschenkt.

Dabei haben zahlreiche Studien hinlänglich gezeigt, dass eine generell bessere Lernleistung der Schüler durch computergestützten Unterricht nicht nachgewiesen werden kann. Auch die viel beachtete umfangreiche Meta-Meta-Studie des neuseeländischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie kommt im Durchschnitt auf nur eine Effektgröße von 0,37 für „computer-assisted instruction“. Dies entspricht nicht einmal dem Durchschnittswert von 0,40 für alle denkbaren Unterrichtseinflüsse. Dabei gibt es durchaus Situationen, in denen überdurchschnittlich positive Effektgrößen von 0,54 bis 0,96 erreicht werden. Ansonsten ist der computerbasierte Unterricht per se nicht besser und nicht schlechter als der „normale“ Unterricht.

Wenn nun wieder die „Digitalisierung der Bildung“ verstärkt auch von der Politik eingefordert wird, so geschieht dies wider besseres Wissen. Ein Medikament, dessen Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden kann, wird gar nicht zugelassen. Dass der Mehrwert einer „Digitalisierung der Schulen“ nicht belegt ist, schert aber anscheinend keinen der vermeintlich „modernen“ Bildungspolitiker. Der finanzielle Aufwand für Anschaffung und Wartung dafür ist gewaltig. Garantiert ist dabei nur der Profit für Anbieter von digitaler Soft- und Hardware, nicht der Mehrwert für die Schüler.

Der Lernerfolg hängt primär von der Intensität ab, mit der sich Schüler mit Inhalten auseinandersetzen. Einen anstrengungslosen, garantiert erfolgreich ablaufenden Lernprozess nach der Art des „Nürnberger Trichters“ gibt es leider nicht.

Die Bildungsausgaben Deutschlands (die ohnehin unter dem OECD-Durchschnitt liegen) sollten klüger und sinnvoller eingesetzt werden – wie etwa für mehr Lehrerstellen. Das in Deutschland immer noch in Klassenstärken wie vor über 50 Jahren unterrichtet werden muss, ist ein Anachronismus. Dr. Franz Kestler, Holzkirchen

Her mit der neuen Technik!

Die digitale Möglichkeit (PC, Smartphone, Internet, usw.) ist eine weitere Kulturtechnik, die unserer heutigen Kultur angemessen ist. „25 Augenpaare starren auf 25 Monitore“, schreibt Susanne Klein kritisierend; ich frage, warum soll es in der heutigen Zeit zielführender sein, wenn 25 Augenpaare auf 25 papierne Arbeitsblätter schauen? Ich erwarte jetzt von der Bildungspolitik, dass die digitale „Kulturtechnik“ endlich (auch und besonders) in den Schulen selbstverständlich, gleichberechtigt und schwellenlos! den zukünftigen Generationen bereitgestellt wird. Die geforderte pädagogische Diskussion kann erst dann sinnvoll geführt werden. Kay Brockmann, Hamburg

Fragt Ärzte, nicht Firmen

Obwohl es tatsächlich Zeit ist, „dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen“, ist fraglich, ob die Bestrebungen von Google, Apple, Microsoft, Bertelsmann, Telekom und Co., die Bildung in die Hand zu bekommen, diese zulassen. Denn die Hauptinitiative der Digitalisierung der Bildung kommt ja von der IT-Branche. Jedem Schüler ein Tablet-PC, das verspricht ein Milliardengeschäft. Im Zwischenbericht der Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ steht, wer das Bundeswissenschaftsministerium berät – nämlich Akteure der IT-Wirtschaft: Von Bitkom, der Gesellschaft für Informatik (GI) über Microsoft, SAP bis zur Telekom sind alle vertreten.

Nicht vertreten dagegen sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen oder Neurowissenschaftler, die sich mit den Folgen der Nutzung von Bildschirmmedien bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Man muss sich einmal vor Augen halten, was sich durch die Digitalisierung der Schulen ändern könnte: Die Schüler sitzen vereinzelt am Tablet-PC, werden überwacht und gesteuert von Algorithmen. Ein sprechender Computer gibt Aufgaben und Übungen vor. Digitaler Unterricht bedeutet einen Schritt in Richtung „Schule ohne Lehrer“. Lehrer werden durch autonome Digitaltechnik ersetzt und zu Lernbegleitern degradiert. Kreativität und Querdenken entfällt. Die Software-Optionen, ausgearbeitet bei Google und Co., geben einprogrammierte Kompetenzen vor. Man lehrt nicht mehr Haltung, sondern verwertbares Verhalten, das ist der Kern der Kompetenzorientierung.

Nachdem bisher keine Studie nachweist, dass die Nutzung digitaler Medien zu besseren Schülerleistungen führt, korrigieren viele Länder, die Deutschland in der Digitalisierung voraus sind, bereits den Digitalisierungs-Hype. Trudi Christof, Aßling

Möglichkeiten und Grenzen

Ich bin seit 17 Jahren im Schuldienst, Jahrgang 1971 und noch mit dem guten, alten C 64 groß geworden. Bin also auch ein Kind der frühen Digitalisierung und sehe die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen. Die Digitalisierung in der Schule wird völlig überschätzt, und jeder Ahnungslose kräht danach. Die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen fragen sich ohnehin, was das Theater soll. Andreas Phieler, Oldenburg

14 Thesen gegen die Panikmache

Ich bin 62, Gymnasiallehrerin in Berlin und arbeite seit den Achtzigerjahren mit Computern und seit einigen Jahren mit digitalen Wandtafeln. Mit der Frage, inwieweit der Einsatz von Computern neue Methoden erfordert beziehungsweise generiert, habe ich mich als Autorin einer Methodensammlung für den Musikunterricht (Esslingen 2016) intensiv auseinandergesetzt.

Anlässlich der neuesten Medienkampagne der Bertelsmann-Stiftung habe ich 14 Thesen zum Thema „Digitalisierung der Schulen“ formuliert.

1. Der Begriff „Digitalisierung“ verschleiert eine für die Pädagogik wichtige Unterscheidung zwischen a) Geräten, b) deren Bedienung und c) Internetzugang, Wlan und Internetnutzung.

2. Alle Kinder und Jugendlichen kennen den Umgang mit Computern bzw. digitalen Endgeräten, bevor sie in die Schule kommen. Die Schule hat im Vergleich zu den Eltern einen sehr geringen Einfluss.

3. Die Nutzung privater Geräte (Laptops, Smartphones) im Unterricht ist praktisch und deshalb üblich.

4. Computer an Schulen und Informatik als Schulfach gibt es seit etwa 20 Jahren. Wahlpflichtkurse vermitteln Grundlagen der Programmierung. Dass dies nicht auf 100 Prozent aller deutschen Schulen zutrifft, ist kein Grund zur Panik(mache).

5. Die Anschaffung von Computern ist nur sinnvoll, wenn langfristig Geld und Personal für ihre Wartung, Sicherung und Erneuerung zur Verfügung gestellt wird.

6. Geräte, die in Schulen eingesetzt werden, sind oft nicht robust genug und nicht für ständig wechselnde Nutzer konzipiert.

7. Mit Computern zu arbeiten kann nur in Ausnahmefällen als Methode gelten, sonst handelt es sich um eine Technik, die das Unterrichten und die Vorbereitung erleichtert.

8. Für den Unterricht über die Gefahren des Internets und der Mediennutzung braucht es keine neuen Geräte, sondern pädagogische Konzepte und überzeugende Materialien.

9. Obwohl alle Welt mehr auf Tastaturen schreibt als mit Stiften, wird das Schreiben mit zehn Fingern in der Schule immer noch nicht gelehrt.

10. Niemand lernt wesentlich schneller oder wird intelligenter oder strengt sich mehr an, weil beim Lernen ein Computer oder eine digitale Wandtafel im Einsatz sind.

11. Auftraggeber von Studien, deren Ergebnis die Forderung nach „Digitalisierung der Schulen“ ist, müssen sich fragen lassen, wessen Interessen sie vertreten.

12. Das Missverhältnis zwischen fehlenden Investitionen in Personal und Gebäude einerseits und den hohen Kosten für eine flächendeckende Computerausstattung und -wartung andererseits ist monströs.

3. Dringender als teure und wartungsintensive Geräte brauchen Schulen genügend und gut ausgebildete Lehrer*innen, eine bessere Ausstattung mit Sachmitteln und funktionale Gebäude.

14. Die Pädagog*innen müssen entscheiden. Wie würden wohl Computerfirmen reagieren, wenn deutsche Lehrer*innen in der Öffentlichkeit die soziale Inkompetenz vieler ihrer Mitarbeiter anprangern und flächendeckende Sozial-Trainings fordern würden? Micaëla Grohé, Berlin

Link zur Originaldatei auf >> www.sueddeutsche.de